Daten für den Klinikalltag nutzbar machen

Prof. Dr. Toralf Kirsten zeigt sich beeindruckt von der Innovationskraft und effektiven Datennutzung im israelischen Gesundheitswesen. Hier spricht er über seine Eindrücke.

Wie meistert Israel den Spagat zwischen Datenschutz und Cyber-Sicherheit und welche Lehren kann Deutschland für den Aufbau eines datengetriebenen Gesundheitssystems ziehen? Besonders Ärztinnen und Ärzte rücken in den Fokus, denn Daten sind nicht nur für Forschende der Schl?ssel zu evidenzbasierter und innovativer Medizin.

Sie waren vor Kurzem in Israel. Was hat Sie dort am Gesundheitssystem besonders beeindruckt? 

Israel zeigt eine bemerkenswerte Agilität in der Umsetzung von Innovationen. Besonders beeindruckend ist, wie Ideen aus Universitäten und Krankenhäusern systematisch in Start-ups überführt werden. Diese Gründerkultur wird durch gezielte Finanzierungsmodelle unterstützt, die es ermöglichen, innovative L?sungen schnell in die Praxis zu bringen. Dabei geht es den beteiligten Krankenhäusern nicht nur um die Anwendung solcher Lösungen, sondern auch um deren wirtschaftliche Verwertung. Das ist ein Ansatz, der hierzulande noch wenig verbreitet ist.

Wie unterscheidet sich die Datennutzung in Israel von der in Deutschland?

Ein wesentlicher Unterschied ist der lebenslange Zugriff der Krankenkassen auf Patientendaten. Dadurch können in Israel präzise Analysen über den gesamten Lebenszyklus eines Patienten durchgeführt werden, was eine proaktive, präventive Gesundheitsversorgung ermöglicht. Der Datenschutz wird durch eine Kombination aus strengen Cybersecurity-Maßnahmen und klaren Regeln für die Datenfreigabe sichergestellt. In Deutschland dagegen bremsen fragmentierte Datenstrukturen und strengere Regularien ähnliche Entwicklungen aus.

Welche Rolle spielen Daten im Klinikalltag und wie könnte sich ihre Nutzung weiterentwickeln? 

Viele Ärztinnen und Ärzte möchten über ihre täglichen klinischen Aufgaben hinaus innovativ tätig sein, beispielsweise in der Forschung. Gleichzeitig sind betriebswirtschaftliche Analysen entscheidend, um Ressourcen effektiv einzusetzen. Dabei wird zunehmend deutlich, wie wichtig der unmittelbare Zugriff auf relevante Datenquellen für alle Nutzergruppen ist.

Was sind die größten Herausforderungen auf diesem Weg?

Die zentrale Herausforderung liegt darin, Daten für den Klinikalltag nutzbar zu machen, gerade für Mediziner, die über ihren klinischen Alltag hinaus Fragestellungen untersuchen möchten. Ein weiterer entscheidender Punkt ist der Zugriff auf Daten durch Verwaltungspersonal und ärztliches Führungspersonal. Besonders der kaufmännische Bereich benötigt Daten, um die Leistungen des Krankenhauses zu analysieren und die Unternehmenssteuerung zu optimieren. Das ärztliche Führungspersonal wiederum benötigt aktuelle Übersichten über die Patientenversorgung, die Bettenbelegung und andere operative Aspekte.  

Wie ist hier die Situation im Universitätsklinikum Leipzig?

Forschungsthemen laufen über das Datenintegrationszentrum, das gezielt Anfragen zu Datensätzen koordiniert und ausgibt. Für administrative Zwecke wie die betriebswirtschaftliche Analyse wird hingegen ein internes Business Warehouse genutzt. Ein Großteil der Arbeit erfolgt noch zentralisiert. Um Daten tatsächlich flächendeckend im Klinikalltag einzusetzen, muss der Zugang für alle relevanten Nutzergruppen einfacher und effizienter gestaltet werden, ohne dabei die notwendigen Sicherheitsanforderungen zu vernachlässigen.

Wie sehen Sie die Zukunft der Dateninfrastruktur in Deutschland? 

Die Medizin-Informatik-Initiative hat mit den Datenintegrationszentren eine solide Grundlage geschaffen. Diese ermöglichen standardisierte Schnittstellen für die Nutzung von Klinik- und Forschungsdaten. Der nächste Schritt muss sein, die Infrastruktur weiter zu harmonisieren und innovative Ansätze wie hybride Versorgungsmodelle und synthetische Daten stärker einzubinden. Nur so können wir international aufholen und die Digitalisierung des Gesundheitswesens entscheidend voranbringen.

Prof. Dr. Toralf Kirsten leitet die Abteilung Medical Data Science am Medical Informatics Center der Universität Leipzig.