Die Gesundheitsdiplomatie kann Brücken bauen

Die Kooperationen zwischen Deutschland und Israel im Gesundheitssektor sind intensiv und erfolgreich – und das nicht erst seit der COVID-19-Pandemie. Mit dem wachsenden Innovationsbewusstsein im deutschen Gesundheitswesen wird zunehmend auf Israels umfassende Expertise und seine Vorreiterrolle in der Digitalisierung gesetzt. Für israelische Unternehmen wiederum bietet Deutschland weit mehr als nur den größten Gesundheitsmarkt Europas: Es ist ein Schlüsselpartner für den gemeinsamen Fortschritt, wie Lea Ledwon vom German Israeli Health Forum for Artificial Intelligence (GIHF-AI) betont.

Die deutsch-israelische Kooperation in der Gesundheitsforschung hat eine lange Tradition. Was waren die wichtigsten Entwicklungen in den letzten Jahren?

Die Zusammenarbeit begann in den 1960ern und wurde über die Jahre kontinuierlich ausgebaut. Seit 2021 hat das European Leadership Network (ELNET) mit dem German Israeli Health Forum for Artificial Intelligence (GIHF-AI) durch Förderung des deutschen Gesundheitsministeriums neue Impulse gesetzt, besonders im Bereich Künstliche Intelligenz (KI) im Gesundheitswesen. Die Erkenntnisse flossen beispielsweise in das Gesundheitsdatennutzungsgesetz (GDNG). Ein weiterer Meilenstein in der deutsch-israelischen Kooperation war auch die gegenseitige Anerkennung ärztlicher Fortbildungen seit 2022.

Deutsche Krankenhäuser profitieren vom Austausch mit israelischen Gesundheitsinnovationszentren; diese bieten ein Modell für die Integration von Forschung und Praxis.

In welchen Bereichen der Medizin und Technologie sehen Sie die größten Erfolge der deutsch-israelischen Kooperation?

Die Erfolge zeigen sich vor allem in der Krebsforschung. Bis 2018 gab es über 1520 gemeinsame Publikationen in diesem Bereich. Basierend auf langjährigen wissenschaftlichen Kontakten, arbeiteten das Deutsche Krebsforschungszentrum (DKFZ) und das Weizmann-Institut (WIS) während der COVID-19-Pandemie eng zusammen, um das Coronavirus zu erforschen. 

Der Bereich Neurowissenschaften sowie KI und Big Data sind ebenfalls zentrale Themen. In jüngster Zeit rückt zudem Frauengesundheit zunehmen in den Fokus. Die Forschung zur seelischen Gesundheit, mit einem Schwerpunkt auf posttraumatische Belastungsstörungen und Digital Mental Health wird insbesondere seit dem 7. Oktober verstärkt.  

Welche konkreten Vorteile bringt die Kooperation mit Israel für deutsche Krankenhäuser?

Israel kann heute auf nahezu 99 % digitalisierte Gesundheitsdaten zugreifen. Diese Daten sind ein riesiger Schatz für die Forschung und ermöglichen tiefgehende Analysen. Deutsche Krankenhäuser profitieren vor allem vom Austausch mit israelischen Gesundheitsinnovationszentren wie dem ARC-Innovationszentrum des Sheba Medical Centers und dem IMed des Tel Aviv Sourasky Medical Centers; diese bieten ein Modell für die Integration von Forschung und Praxis.  Auch die regulatorischen Sandboxes in israelischen Kliniken, die die schnelle Implementierung neuer Technologien unterstützen, sind ein Beispiel, das auch in Deutschland Schule machen könnte.

Wie beeinflusst die aktuelle geopolitische Lage die Kooperation?

Der Angriff der Hamas am 7. Oktober und die darauffolgenden Ereignisse haben die Situation verändert; wir sehen einen Rückgang der Zusammenarbeit zwischen israelischen und europäischen Forschern. Gleichzeitig berichten israelische Wissenschaftler von Diskriminierungserfahrungen.  Dabei ist es gerade jetzt wichtig, die bestehenden Kooperationen zu stärken. Solidaritätsbekundungen deutscher Einrichtungen, die Lieferung medizinischer Güter und neue Projekte im Bereich der seelischen Gesundheit sind positive Zeichen. Ich bin davon überzeugt, dass Gesundheitsdiplomatie in Krisenzeiten dazu beitragen kann, Brücken zu bauen. Ein Beispiel dafür ist das Projekt Rozana, das israelische und palästinensische Ärztinnen und Ärzte zusammenbringt.

Können Sie uns einige erfolgreiche Beispiele von israelischen Unternehmen nennen, die auf dem deutschen Markt Fuß gefasst haben?

Ja, es gibt einige bemerkenswerte Beispiele. MDClone bietet mit seiner Plattform ADAMS eine innovative Lösung zur Datenanalyse, die nach ihrer Implementierung am Universitätsspital Basel auch für deutsche Kliniken an Bedeutung gewinnt. Ein weiteres Beispiel ist Aidoc, dessen sechs KI-Algorithmen der Universitätsmedizin Essen bei der Erkennung und Priorisierung akuter Pathologien unterstützen. Und die KI-gestützte Lösung binah.ai. wird im Universitätsklinikum Schleswig-Holstein (UKSH) für eine automatisierte Messung zahlreicher Gesundheitsindikatoren genutzt. 

Und umgekehrt, welche Chancen bestehen für deutsche Unternehmen, sich im israelischen Markt zu positionieren?

Deutsche Unternehmen profitieren von der israelischen Innovationskultur und den umfassenden Gesundheitsdaten. Viele deutsche Unternehmen haben bereits in israelische Startups investiert oder dort eigene Forschungs- und Entwicklungszentren gegründet. Die Kombination aus deutscher Qualitätsarbeit und dem Innovationsgeist der „Startup Nation“ ist sehr erfolgversprechend – bei unseren Delegationsreisen können deutsche Unternehmen die hautnah erleben.

Was sind die nächsten Schritte und Aktivitäten des German Israeli Health Forum for Artificial Intelligence (GIHF-AI)?

Wir haben vor kurzem eine Partnerschaft mit der Staatskanzlei Sachsen gestartet, um innovative Lösungen für die Digitalisierung der sächsischen Gesundheitsinfrastruktur zu entwickeln. Eine Delegationsreise nach Israel ist für November geplant, um politische Handlungsempfehlungen zu erarbeiten und neue Kooperationen zu fördern.

Auf europäischer Ebene planen wir eine Ausweitung unserer Tätigkeiten im Rahmen von EU4Health und der Zusammenarbeit zum Europäischen Gesundheitsdatenraum (EHDS). Ein weiterer Fokus könnte die Verstärkung der Gesundheitsdiplomatie im Nahen Osten sein, insbesondere durch Kooperationen mit den Vereinigten Arabischen Emiraten und Bahrain im Kontext der Abraham Accords.

Vielen Dank, Lea!

Lea Ledwon bei ELNET seit 2021 das German Israeli Health Forum for Artifical Intelligence (GIHF-AI). In ihrer Karriere verantwortete sie die Kommunikationsarbeit mehrerer Kliniken und leitete sie die Geschäftsstelle des Freundeskreis der Charité e.V. Während ihres mehrjährigen Aufenthalts in Israel arbeitete sie beim Peres Center for Peace.